Klapperschlangen im Supermarkt

Ich bin Erster - O.K., fast. 
Die Dame vor mir ist fast fertig, sie muss nur noch bezahlen. Es ist heiß hier im Supermarkt. Keiner lächelt. Jeder hier drin versucht, sich möglichst wenig zu bewegen. Lächeln ist anstrengend, und könnte bei diesen Temperaturen einen lebensgefährlichen Schweißausbruch auslösen; dessen ist sich hier jeder bewusst. Vor mir liegt eine Tiefkühl-Pizza mit Salami und Käse auf dem Kassenband. Ich freue mich bereits schon jetzt auf den Geruch, den diese in wenigen Minuten in meiner Küche verströmen wird. Hinter mir in der Reihe steht ein junges Mädchen, ca. 17 Jahre alt. Sie starrt auf ihr Handy. 
Ich bin etwas verwirrt, sie hat nichts auf dem Band liegen. Nun gut, vielleicht ist ihr gar nicht bewusst, dass sie an einer Supermarktkasse steht!? Handy-Junkies verlaufen sich in berauschtem Zustand gerne mal in fremde Gebäude, nehmen falsche Züge, Busse oder verschwinden auf irgendeine andere Art spurlos vom Erdboden. 

Hinter ihr befindet sich eine Mutter mit Kleinkind auf dem Arm. Ich schätze das Kind zwischen 8 und 24 Jahren. Es hat einen Schnuller im Mund, einen leichten Flaumbart auf der Oberlippe und ist an der Unterlippe gepierct - vermutlich, damit die Mutter daran eine Leine befestigen kann. Das Kind auf ihrem Arm spielt derweil auf einer mobilen Spielkonsole irgendein Ballerspiel. Schüsse und Todesschreie dringen aus dem Gerät. Die Mutter des Kinder hat eine Packung Speise-Eis und mehrere Packungen Chips auf's Band gelegt. Aus der Ferne nähert sich eine Oma aus Richtung der Gemüseabteilung und steuert in zeitlupenähnlichem Tempo den Kassenbereich an. 

Bin ich froh, wenn ich diesen Backofen hier verlassen kann. Weshalb steht die Dame vor mir immer noch da? Sie kramt in ihrem Geldbeutel nach dem passenden Betrag. Oh nein, nicht soooo jemand vor mir! Wieso passiert das immer mir, und weshalb gerade heute??? Sie kramt und kramt, die Kassiererin möchte ihr behilflich sein, aber sie darf nicht. Die Dame haut ihr auf die Finger und lässt sie wissen, dass sie niemand Fremdes an ihre Börse lässt. Ich muss mich wegdrehen, mein Puls beschleunigt sich auf geschätzte 170 Beats per Minute. Mein Blutdruck steigt und Schweiß spritzt mir aus den Ohren, äh ... Schreibfehler, Poren, ich meinte Poren. Teenager und Mutter mit Killer-Kind blicken unbeeindruckt vor sich hin bzw. das Girlie auf ihr Display. Die Oma, die aus Richtung der Gemüseabteilung scheint auf einmal verschwunden zu sein. Nein, da ist sie, vor lauter Flimmern der heißen Luft, habe ich sie nicht gleich wieder bemerkt. Sie scheint nicht vorwärts zu kommen, obwohl sie sich offensichtlich weiter bewegt. 

Ich werde wütend, sehr wütend. Das werde ich immer, wenn ich unnötig warten muss. Mein Arzt hat mir gesagt, dass mich das irgendwann einmal ins Grab bringen wird. Ich bin chronischer Choleriker, eine schwer heilbare Krankheit - zumindest bei mir. Die Dame mit dem Bezahlproblem hat bereits einen ganzen Haufen Kleingeld auf aus ihrer Börse gekramt, lässt die Kassiererin aber noch nicht nachzählen. Ich blicke zur Ablenkung an die Supermarktdecke. Täusche ich mich, oder sehe ich dort oben bereits Geier kreisen? Rollt ein Gebüsch hinter der Kassiererin vorbei oder halluziniere ich bereits vor lauter Hitze und Wut? Es ist soooo, soooo heißt hier drinnen, dass meine Pizza bereits anfängt zu backen. Es riecht nach Pizza und verbranntem Gummi, das Kassenband fängt an, sich zu verflüssigen. Ich wische mir den Schweiß aus den Augen, ich kann es nicht glauben. Die Dame vor mir ist plötzlich verschwunden, und ich bin dran. 
Heilige Pizza Diabolo, es gibt noch Wunder. Ein kurzes Lächeln fliegt über mein Gesicht, ich drehe mich zu den anderen Kunden um, in der Hoffnung, dass ich Applaus für meinen Erfolg bekomme. 

Die Zombies hinter mir geben keine positiven Lebenszeichen von sich. Das Eis der Mutter, mit Kind auf dem Arm, ist bereits komplett aus der Packung ausgelaufen und beginnt auf dem Band zu köcheln. Das lässt die zombierte Damen offensichtlich kalt -  wobei kalt .... 
Als ich meinen Geldbeutel aus der Gesäßtasche nehme, um meine Pizza zu bezahlen, schaut mich die Kassierin an und öffnet ihren Mund. Eine Klapperschlange schießt daraus hervor und will mich packen. Ich weiche aus, Stürze, und schlage hart auf dem Boden auf. Als ich meine Auge wieder öffne, liege ich weich, sehr weich. Ich liege in meinem eigenen Bett. Jetzt bin ich erleichtert, alles nur ein Albtraum! Gott sei Dank! 
Aber dennoch so real, dass ich beim Aufstehen tatsächlich in einen Rest Pizza trete, die neben meinem Bett liegt und nach verbrannten Gummi riecht ...
Das schlägt mir auf den Magen, ich renne zur Toilette.

Oh Gott, schlechte Nachrichten, ich glaube ich muss heute nochmal in den Supermarkt, ich habe das Toilettenpapier vergessen ...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen