Was macht er denn dort drüben, dass meine Trommelfelle stärker vibrieren, als der ganz Zollernalbkreis beim großen Erdbeben 1978?
Ich blicke unauffällig über den Zaun, wobei ich mich dazu auf eine Leiter stellen muss, damit ich alles sehen kann. Damit der Nachbar sich nicht gleich beobachtet fühlt, schieße ich äußerst unauffällig ein paar Selfies von mir. Verdammt! - Der Kerl mäht seinen Rasen. Ich war mir sicher, ich hätte eine Säge gehört. Vermutlich ist mein akustisches Gedächtnis über die Jahre dement geworden. Kein Wunder, bei solch rücksichtslosen Nachbarn. Egal, der Rasenmäher ist trotzdem laut - auch wenn es ein elektrischer ist. Es ist Mittagsruhe, und da stört jedes Geräusch!!!
Um Kontra zu geben, schmeiße ich jetzt meine Kettensäge an. Scheiß auf die hohen Benzinpreise! Wir Schwaben sind zwar sparsam, aber nicht geizig. Vor allem, wenn es um unsere Ehre geht. Mangels Holz in meinem Garten, zersäge ich blind vor Wut die Holzgarnitur auf unserer Terrasse. Die Bäume sind schon lange weg ... - zum Glück sind die Tisch- und Stuhlbeine der Garnitur aus Metall, das erzeugt ein besonders fieses Geräusch - da lasse ich mir extra gaaaaanz viel Zeit: Der Nachbar soll leiden. Und die anderen Nachbarn gleich mit - die sind ja immer zu feige, sich zu beschweren, wenn irgendetwas in der Nachbarschaft schief läuft. Ich liebe diesen Klang: Metall auf Metall! Ein sehr schriller und verflucht widerlicher Klang. Fast so, wie meine Speed-Metal-Alben aus den 80zigern. Ein toller Anblick, wie die Kette der Säge die Funken aus dem Stahlrohr spritzen lässt. Super! - Mit diesem Sound, kann ich dem Fitness-Hans dezibelär auf jeden Fall entgegen halten.
Ich bin wie besessen, vergesse die Zeit, bis mich ein Schulterklopfen aufschreckt. Mein Nachbar steht neben mir, er redet zu mir, aber ich kann ihn nicht verstehen. Er deutet mir an, die Kettensäge auszuschalten. Aber auch mit ausgeschalteter Kettensäge höre ich nur ein lautes Summen und Rauschen in meinem Kopf. Ich verstehe kein Wort und entnehme seinen Gesten und den Bewegungen seiner Lippen, dass ich zu laut wäre. Pahhhh - gerade er soll sich sich beschweren, der kommt mir gerade recht!
Aber bevor ich etwas sagen kann, zeigt er auf die Kirchturmuhr in unmittelbarer Nähe. 12:14 Uhr!?? - Wie kann das sein?
Meine Armbanduhr zeigt immer noch 13:12 Uhr!?
Oh je, jetzt wird mir klar, dass ich in einem Fettnäpfchen schwimme und drohe darin unterzugehen. Ich habe gestern wohl mal wieder vergessen meine Uhr aufzuziehen. Verdammt!!!
Reumütig ziehe ich mich zurück und lächle dem Ledernachbarn nett zu. Er lächelt verwirrt zurück. Ich sollte dieses Lächeln wohl besser gut in Erinnerung behalten, da es mit Sicherheit das letzte Lächeln sein wird, dass ich heute zu Gesicht bekommen werde.
Meine Frau hat ihre Terrassen-Garnitur nämlich sehr,
sehr geliebt - vermutlich mehr als mich ...!
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